Was es Neues gibt? Mein Mann und ich haben uns einen Camper gekauft. „Ach wie schön! Das machen ja jetzt viele…“ Ein Satz, den ich nicht mehr hören kann und will. Wenn er mal wieder fällt, reiße ich mich höflich zusammen, rolle nur innerlich mit den Augen und sende Signale an meine Kieferregion, ein nicht allzu gequält wirkendes Lächeln aufzusetzen. Danke, ich habe es selbst schon gemerkt: Wir sind jetzt nur ein Paar von vielen, zwei Leute mehr mit dem Traum vom Leben auf vier Rädern, Teil einer rollenden, Urlaubsregionen überflutenden Campermasse. Und genau das fuchst mich, denn – eigentlich waren wir doch zuerst da. Zumindest eher als die anderen.
Leider nur Pioniere im Geiste
Wir schreiben das Jahr 2019. Corona ist noch nicht mehr als das Bier, in dessen Flaschenhals man vor dem Trinken ein Stück Limette schiebt und Reisen ist so unkompliziert wie der tägliche Gang aufs Klo – vorausgesetzt man hat einen gültigen Ausweis dabei. Mein Mann und ich sitzen unweit der schottischen Highlands in einem Pub und schmieden Pläne für die gemeinsame Zukunft mit Kind, die in ein paar Monaten beginnt. Zu diesen Plänen gehört – genau, der Kauf eines Campers. Oder besser gesagt Transporters und den wiederum wollen wir in Eigenregie zum Camper umbauen. Auf der Rückseite einer Faltkarte der Umgebung skizziert mein Mann schonmal die Aufteilung: Schlafen, kochen, duschen – alles soll auf wenigen Quadratmetern möglich sein. Aufgeregt träumen wir uns in die Zukunft, wie wir in unserem Nest auf Rädern durch die Gegend juckeln und unserem Kind die Welt zeigen. Da locken Freiheit und Abenteuer, wir können es kaum erwarten. Erzählen wir damals von unseren Plänen, ernten wir skeptische Blicke. Wirklich? Ist schon ein wenig eng, so zu dritt in einem Auto. Lange kann man das ja nicht machen. Aber eure Wohnung gebt ihr nicht auf, oder?
Auf dem harten Boden der Realität
Ich habe diese Karte immer noch und wenn ich sie heute anschaue, fühle ich mich um meine Vorreiter-Rolle betrogen. Wir waren die early adopters und jetzt hecheln wir hinterher, als lahme Nachzügler: Die Wagen sind rar, das Holz ist so teuer wie nie, Ersatzteile überhaupt brauchen Wochen bis sie da sind. Und die Flut an campenden Touristen im vergangenen Jahr hat schon ordentlich Unmut in den Touristengegenden verursacht: Portugal passte jüngst sogar seine Straßenverkehrsordnung, um dem Freistehen, also Campen von ausgewiesenen Campingplätzen, einen Riegel vorzuschieben.
Doch das soll uns mal schön schnurz sein. Wir ziehens jetzt trotzdem durch. Zwei Jahre sparen, unendlich viele Stunden YouTube-Videos anschauen zu Kassettentoiletten, Schaltkreisen und Solarsystemen – das alles soll nicht umsonst gewesen sein. Der Hype wird wieder abflauen und dann kommt unsere Zeit! Getragen von dem arroganten Gedanken „Wir ziehen es wenigstens richtig durch“ machen wir uns ans Werk. Die Ernüchterung stellt sich schneller ein als gedacht. Beim Gedanken an den Ausbau sah ich mich Holz für die Möbel abschleifen und einölen, Vorhänge nähen, kluge Lösungen für wenig Stauraum austüfteln. Und dann rutsche ich stundenlang auf Knien über den nackten Boden des Transporter und schrubbe Kleberreste vom Metall ab. Die Realität rollt sich in unzähligen schwarzen Krümelchen vor mir auf: Fleißarbeit. Davon fällt jede Menge an, wenn man einen Camper komplett selbst baut. Nach einer Woche intensiver Arbeit sieht der Transporter noch fast genauso aus wie direkt nach dem Kauf. Irgendwie enttäuschend.
Durchhalten
Zeit, die Phantasie mal wieder ein wenig aus der Reserve des Alltagstrotts zu locken: Aber wenn aus den Krümelchen erstmal Bett, Bad und Küchenzeile gewachsen sind. Das Dach mit Fenstern durchbrochen und die Seitenwände mit wahnsinnig ausgetüftelten Stauräume bestückt sind. Dann – ja, dann gehts los. So viel ist es doch gar nicht mehr. Einen Van ausbauen ist das mentale Training, für das viele gestresste Millenials Geld bei wenig seriösen Coaches hinblättern, die sie auf Instagram gefunden haben. Nur für umme. Ich nehme das dankbar an, atme tief ein und tief aus und zaubere aus jedem weggewischten Krümel gedanklich einen Einrichtungsgegenstand. Das wird. Nur Geduld.