Von Gäulen und Gipfeln

Summary:

Reitausflug zum Gebirgssee Songköl in Kirgistan – im tiefsten Winter bei Minusgraden? Geht…

Ich war nie ein Pferdemädchen. Die Wendy war mir egal und wenn ich als Kind mit in den Stall musste (meine Schwester war so ein Pferdemädchen), machte ich einen großen Bogen um die Boxen und hing lieber mit den Ziegen auf dem Hof ab. Hätte mir damals jemand erzählt, dass ich mal auf Schusters Rappen einen verschneiten 3000-Meter-Pass überqueren werde: Ich hätte erstmal gefragt, was Rappen sind.

Aber ja, in Kirgistan habe ich mich tatsächlich für einen Reitausflug in die Berge angemeldet. Weiß der Geier warum. OK, ich weiß es auch: In den ländlichen Gegenden der Gebirgsrepublik geht oft gar nichts ohne Pferd. Außerdem munkelt man, ohne einen Ausritt habe man Kirgistan nicht richtig erlebt. Das will ich mir natürlich nicht vorwerfen lassen und schlage zu, als eine Tour zum zweitgrößten Gebirgssee des Landes angeboten wird. Es ist Winter und mir wird ein herrlich wie seltener Anblick versprochen. Denn der See wird eigentlich nur im Sommer bereist.

Songköl (oder auch Song-Kul) kommt von den kirgisischen Wörtern "sono" für Wildente und "kul" für See. Der Name bedeutet also "ein See, in dem Wildenten leben".

Am Songköl wohnen im Sommer noch die Nomaden in ihren Jurten

Ab Mai ziehen die (Halb-)Nomaden mit ihren Tieren hierher und lassen sie bis zum Spätsommer die saftigen Weiden rundherum abgrasen. Dann bauen sie ihre Jurten ab und verbringen den Rest des Jahres in ihren Häusern auf dem Land oder in der Stadt. Dieses Relikt kirgisischer Frühkultur lockt die immer größer werdenden Touristenströme im Sommer her. „Hach, alles noch so schön authentisch hier…!“ Die gastfreundlichen Kirgisen beherbergen sie in ihren Jurten, doch auch eigens eingerichtete Camps entstehen rund um den See, um das Nomadenflair erlebbar zu machen. Die sommerliche Übervölkerung geht leider auf Kosten des Weidelandes, das von immer mehr Herden weggefressen wird – denn natürlich wittern viele ein Geschäft im Tourismus und ziehen plötzlich auch mit ihren Tieren hierher. Immerhin hat die Natur rund um den See nun ein paar Monate Zeit, sich zu erholen.

Der Trip beginnt auf für mich sicherem Terrain – in einem Bus, der uns von der Hauptstadt Bishkek ins Dorf Kysart am Fuß des Passes bringt. Noch einmal schlafen, dann gehts los: Frittiertes Brot, Trockenfrüchte und Marmelade als Grundlage für den ersten Tag. Klassische Nomadenkost. Jetzt fühle ich mich zwar fit, bekomme aber doch ein bisschen Bammel.

Die einzig blutige Anfängerin aus der Gruppe

Es ist Zeit, mich zu outen, als die Pferde verteilt werden. Meine Reiterfahrung? Ja, also… Mit acht Jahren habe ich mal einen Purzelbaum von einem Voltigierpferd gemacht. Und sonst… Doch, an der Leine bin ich auch mal geritten. Naja, gezogen worden.

Dschumart, der Kirgise, der sich um die Pferde kümmert, weiß Bescheid: Kann nix, für die also kein Gepäck. Die Anderen bekommen noch Satteltaschen aufs Pferd gehängt, mit unseren Rucksäcken und Verpflegung für die nächsten zwei Tage. Aber die können auch reiten.

Die Sonne scheint, das gibt Hoffnung, dass wir auch später nicht allzu sehr frieren werden. Denke ich da noch. Dass ein klarer Himmel eher für klirrende Kälte sorgt, fällt mir später wieder ein. Das Aufsitzen geht erstaunlich leicht, die Pferde sind allerdings mit einem Stockmaß von etwa 1,50 m nicht allzu groß. Und meine Balletterfahrung hilft da auch. „Gar nicht so schlimm“, denke ich also, als wir gemütlich loszockeln. Bis zur ersten richtigen Anhöhe: Wir müssen wir einen Flusslauf überqueren – da driftet mein Pferd plötzlich ab. Es ist durstig, aber Trinken ist für die Tiere tabu. Mist. Allerding ist es wie bei Menschen vor einem Marathonlauf: Vor so einer großen Anstrengung sollte man den Bauch auf keinen Fall mit Wasser aufblähen. Ist meinem Gaul natürlich egal und wir laufen munter weiter weg von der Gruppe, mein hilfloses Zerren und Ziehen am Zügel beirrt ihn gar nicht. Warum auch? So ein Pferd ist ja nicht doof und meins merkt ganz offensichtlich, dass die Reiterin nicht die erfahrenste ist – das kann man ja ruhig ausnutzen.

Hilfe kommt herangeritten in Gestalt von Fabienne, einem französischen Mitreiter: Er bugsiert uns irgendwie zurück zur Gruppe. Merci. Es geht weiter bergauf und je kälter es wird, desto wärmer werde ich mit meinem Pferd. Hin und wieder bockt er, tritt nach hinten gen Mitreiter aus und weigert sich, Wasserstellen zu überqueren. Bis ich eine kleine Lederrute bekomme, da läuft es plötzlich auch so. Sieh an.

Ich bleibe etwas angespannt, aber beginne, die wilde Natur zu genießen: Wir durchqueren Klettenfelder, von denen zuhauf kleine Bällchen in der Mähne meines Pferdes hängenbleiben. Freilebende Stuten grasen rechts und links von unserem Weg. In Kirgistan werden nur die männlichen Tiere gezähmt und geritten. Die Stuten sollen sich um den Nachwuchs kümmern und fleißig Milch geben. Aus der wird im Sommer nämlich das Nationalgetränk hergestellt: Kumys, leicht vergorene Stutenmilch. Außerdem landet das Fleisch der Stuten auf dem Teller der Kirgisen. Vielleicht also habens da die vollbepackten Männer unserer Gruppe doch besser… 

Aaah und Oooh als wir Pause machen

Unser Pfad schlängelt sich durch immer höher werdende Hügel, zwischendurch verlieren wir den Passgipfel aus den Augen, aber das Ziel rückt immer wieder zurück ins Blickfeld: Da wollen wir rauf. Als wir bei einer kurzen Rast endlich mal hinter uns schauen, trifft uns das Panorama mit voller „Aaah“ und „Oooh“-Wucht. Wie für eine Modellwelt drapiert liegen die Berge da, hintereinander in verschiedenen Schichten aufgetürmt. Zuerst die grasbewachsenen Hänge mit ihren fast flachen Kuppen, auf denen ab und an ein einzelner Reiter auftaucht. Dahinter die orange-rötlich schimmernden Berge mit nur noch vereinzelten Gräsern und schließlich die Gipfel deren verschneiten Kuppen eisig im Sonnenschein glitzern. Einfach nur geil.

Wir fläzen uns auf den Hang und picknicken. Gras für die Pferde – Brot, Käse, Wurst, Trockenfrüchte und Nüsse für uns. Plötzlich ziehen drei mächtige Gestalten ihre Kreise über unseren Köpfen. Riesige Schwingen, am Ende gezackt, unverkennbar: Adler. Wow. Ich bin mehr als nur geflasht und fühle pötzlich diesen totalen Einklang mit der Natur, den ich bisher immer als Eso-Geschwafel abgetan habe. Die Pferde dort, wir hier und über uns die Greifvögel: Mich überkommt eine unglaubliche Ruhe. Das Leben kann so einfach sein, denke ich mir da. Vielleicht ist ja doch das dran, an diesem Rücken der Pferde und dem Glück… Mein Unterbewusstsein weiß: Das ist eine trügerische Idylle. Mein Hier und Jetzt sagt: Scheiß drauf und genieß die zwei Tage in deiner Alles-ist-gut-Blase. Ich schalte mein Gehirn aus und genieße die Freiheit, die frische Luft und das Geschuckel auf dem Pferderücken.

Naja, bis wir dann selber ran müssen. Die Pferde brauchen eine Pause. Also stapfen wir durch den mittlerweile wadenhohen Schnee und führen unsere Pferde and er Leine weiter hinauf. Langsam, gaaanz langsam – denn die Luft wird langsam ziemlich dünn hier oben. Wir sind über 2000 Meter und brauchen alle Nase lang eine Pause, schnaufen und mühen uns ab. Das Ziel aber immer vor Augen, Aufgeben ist keine Option. Langsam lichtet sich die Berglandschaft und der Wind nimmt mit jedem Schritt zu, mit dem wir uns der Kuppe nähern. Und dann ist er da. Dieser „Wow“-Moment, für den ich das Ganze hier auf mich genommen habe. Vor uns liegt er, der Songköl. Halb vereist und tiefblau, eingerahmt von glitzernd-verschneiten Hügeln. Dort unten wollen wir heute übernachten. Ich fasse es noch gar nicht richtig.

Prost auf den Gipfelsturm

Aber erstmal feiern wir den Gipfelsturm und lassen Wodka rumgehen, stilecht aus einer Thermobecherkappe, klar. Tchin-tchin und Prost. Auf den Gipfel, die Gäule und auf uns. Die Wärme, die mit dem Schluck durch den Körper rinnt, können wir gut gebrauchen. Meine Finger und Zehen sind zu Eisklumpen erstarrt. Soviel zu Sonnenschein und Wärme. Auch die Pferde stehen dicht gedrängt aneinander, Gruppenkuscheln. Da würde ich jetzt gerne mitmachen.

Für die Tiere kommt nun der leichtere Teil, der Abstieg. Knarzend stapfen sie frische Spuren in den Schnee, wie eine Karawane gemächlich hintereinander hertrottend. Nach Reden ist niemandem mehr. Zu eingefroren der Kiefer und zu groß die Demut vor der friedlichen, absolut stillen Natur. Genießen und Schweigen ist angesagt. Vor knapp zehn Stunden sind wir aufgebrochen. Endlich ist der See zum Greifen nahe. Kurz bevor wir das Ufer erreichen, biegen wir links ab. Hinter einer Anhöhe liegt das Ziel: Unsere Jurte für heute Nacht. Die einzige weit und breit, eine einsame matschweiße Kuppel in der sich langsam rötlich färbenden Ebene. Die anderen wollen im Schein der letzten Sonnenstrahlen hingaloppieren. „Howdy, ihr Cowboys und -girls. Macht ihr mal“, denke ich und ich lasse mich mit Dschumart zurückfallen. Wir genießen, wie alles um uns herum rötlich glüht, wie ein letztes, demonstratives Aufflackern des Tages bevor die Sonne sich hinter den Bergen zurückzieht. Auf einer Kuppe halten wir kurz an und schauen, wie die anderen in einiger Entfernung weiter traben. Und wirklich, in dem Moment wiehert mein Pferd. Ein magischer Moment, irgendwie, denke ich. Es ruft seiner Herde hinterher, erklärt mir Dschumart. Alles klar, wir sind zu lahm. Der Zauber verfliegt ein wenig und wir beeilen uns, zu den anderen aufzuschließen. Als sich das Abendblau über die Landschaft legt und eine klirrende Kälte mit sich bringt, sind es nur noch ein paar Meter. Ich habe es geschafft, mein erster Ausritt auf einem Pferd, nun schnell ins Warme. Meine Finger sind eisig und ich weiß jetzt schon, welche Muskelpartien morgen aufmucken werden.

Innen erwartet uns eine muckelige Oase. Im Ofen glühen die Kohlen, auf dem Tisch die übliche Teetafel: Mit Brot, Marmeladen, Trockenfrüchten, Keksen und Bonbons. Wie bei Tischchen-deck-dich wird immer wieder Chai-Tee nachgegossen. Mein Gesicht glüht, meine Beine brennen, die Anstrengung fällt ab. Noch fasse ich nicht, was ich da geleistet hab. Aber es dämmert mir: Das war einmalig. Ich werde stolz sein. Ich werde Pferdemädchen zumindest ein bisschen mehr verstehen können. Ich werde den ganzen Weg auch wieder zurückreiten müssen. Und es wird kein Problem sein.

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